Die Digitalisierung mag zahlreiche Vorteile bieten, sie hat aber auch Schattenseiten. Die zunehmende Komplexität und Vernetztheit macht die Kommunikationssysteme fragiler. Der Verweis auf die SOS-Säulen im Jahr 2021 ist denn auch nur scheinbar paradox. Robuste Lowtech-Lösungen dürften nicht trotz, sondern wegen der Digitalisierung eine Renaissance erleben.
Dass die Ausfälle des Festnetzes zugenommen haben, liegt wohl an der Umstellung von der analogen auf die digitale Telefonie. Daraufzusetzen, dass es sich bei der Häufung um ein vorübergehendes Phänomen handelt, wäre jedenfalls gewagt.
Notfallknopf mitten im Dorf
Im Kanton Appenzell Ausserrhoden will man diese Wette nicht eingehen. Statt auf eine zuverlässige Stromversorgung und stabile Telekomnetze zu hoffen, wird in der Ostschweiz vorgesorgt. Walter Hasenfratz, der Feuerwehrinspektor beider Appenzell, hatte sich die Frage gestellt: Wie können die Bürger künftig auch ohne Telefon, Handy oder Strom die Feuerwehr erreichen?
Die Antwort darauf hat Hasenfratz den Medien vorgestellt. Er demonstrierte am Freitag in der Gemeinde Teufen ein autarkes System für die Notfall-Alarmierung. Die Lösung besteht im Wesentlichen aus zwei Kästen:
Beim ersten handelt es sich um den sogenannten Notfalltaster. Die rote Box ist gut sichtbar aussen am Feuerwehrdepot von Teufen montiert. Sie ist nachts auch im Falle eines Stromausfalls beleuchtet. Wer die Hilfe der Feuerwehr braucht, kann die Abdeckung öffnen und auf den grossen Knopf drücken, der an die Buzzer aus Rateshows im Fernsehen erinnert.
Der zweite Kasten, der Sender im Innern des Gebäudes, löst über eine Antenne auf dem Dach die Alarmierung aus. Die Angehörigen der Feuerwehr erhalten auf ihren Pagern eine Meldung mit der Aufforderung, ins Depot einzurücken. Wenn alles klappt, treffen ein paar Minuten später die dafür vorgesehenen Feuerwehrleute vor Ort ein. Je nachdem, wie gravierend die Situation ist, können sie – ebenfalls mit dem erwähnten Sender –Verstärkung anfordern. Die Feuerwehr hat zudem Zugriff auf Polycom, das Funknetz der Behörden und Blaulichtorganisationen, das auch bei einem Stromausfall funktioniert. In einer medizinischen Notsituation kann die Feuerwehr also auch eine Ambulanz organisieren.
Ein eigenes Funknetz als Notnagel
Ausgeheckt hat das System das Unternehmen Swissphone mit Hauptsitz in Samstagern im Kanton Zürich. Für die international tätige Firma mit rund 230 Mitarbeitern sind Lösungen für die Alarmierung das tägliche Brot. Zahlreiche Feuerwehren in der Schweiz nutzen die Pager von Swissphone. Wenn die Telekomnetze ausfallen, funktionieren nämlich Kanäle wie Telefon, SMS oder Push-Nachrichten nicht mehr. In solchen Fällen ist das Telepage-Funkrufnetz von Swissphone besonders wertvoll. Mit seinen 540Basisstationen deckt es laut Firmenangaben 98% der bevölkerten Landesfläche in der Schweiz ab.
Telepage ist zwar robuster als die Netze der Mobilfunkanbieter. Entsprechend sind Netzstörungen sehr selten und dauern nur kurz. Aber auch Telepage gibt bei einem längeren Stromausfall den Geist auf. «Die autarke Alarmierung füllt dann die Lücke», sagt Dominic Suter von Swissphone. «Sie sorgt als Notnagel dafür, dass das Milizpersonal alarmiert werden kann.» Die Batterie des autarken Senders kann einen Stromausfall von bis zu acht Stundenüberbrücken. Danach muss der Sender an die Notstromversorgung angeschlossen werden.
Ob der Alarm über das «normale» Telepage-Netz hereinkommt oder vom autarken Sender im Feuerwehrdepot abgesetzt wird, macht für die Feuerwehrleute keinen Unterschied. Die Meldung erhalten die Milizkräfte auf dem gleichen Pager. Die Kantone Basel-Landschaft und Schwyz haben ihre Stützpunktfeuerwehren ebenfalls mit den autarken Sendern von Swissphone ausgestattet. In Zug hat das Feuerwehrinspektorat den ganzen Kanton in der Fläche abgedeckt. Zusätzlich nutzen die Feuerwehren einzelner Gemeinden die autarke Lösung.
Föderalistischer Flickenteppich bei der Alarmierung
Bei der Notfall-Alarmierung herrscht in der Schweiz föderalistischer Wildwuchs. Es ist Aufgabe der Kantone, die Alarmierung der Blaulichtorganisationen sicherzustellen. Es gibt somit 26 Verordnungen. Überdies organisieren sich die Rettungskräfte oft anders als die Feuerwehren oder die Polizei. Das macht die Sache noch komplizierter. Als Folge dieses Flickenteppichs sind die Kantone und Gemeinden sehr unterschiedlich für Stromausfälle und Netzpannen gewappnet. Ein Problem ist auch, dass die Bevölkerung oft gar nicht weiss, wo sie Hilfe suchen kann.
Der Bund empfiehlt eigentlich, dass jede Gemeinde mindestens einen Notfalltreffpunkt einrichtet. Dabei handel tes sich um Anlaufstellen für die Bevölkerung für den Krisenfall. Sie können etwa in Gemeindehäusern oder Bahnhöfen untergebracht werden und sollen Zugriff auf den Polycom-Behördenfunk haben. Derzeit haben aber erst die Kantone Aargau, Bern, Schaffhausen, Solothurn und Nidwalden sowie die Stadt Zug das Konzept umgesetzt. In Appenzell Ausserrhoden gibt es auch noch keine Notfalltreffpunkte. Aber dank den Notfalltastern und der autarken Alarmierung gibt es bald eine vergleichbare Anlaufstelle. Bis Ende Jahr sollen alle 16 Feuerwehrdepots des Kantons nach dem Vorbild Teufens, wo das Pilotprojektdurchgeführt wurde, ausgerüstet werden.
«Back to the roots»
Ende 2020 hat der Bundesrat eine «Härtung» der Mobilfunknetze beschlossen. Künftig sollen die Notrufdienste auch bei einem längeren Stromausfall über das Handy erreichbar sein. Die Telekomfirmen müssten dafür ihre Mobilfunkanlagen mit Hunderten oder Tausenden von Dieselaggregaten ausrüsten. Ob sich das Vorhaben technisch realisieren lässt, ist fraglich. Die Mobilfunkanbieter äusserten sich skeptisch. Vorausgesetzt, dass der Plan des Bundes umsetzbar ist: Gefährdet dieser nicht das Geschäftsmodell von Swissphone? Nein, sagt Dominic Suter, der bei der Firma den Bereich Telepage leitet: «Wäre das Netz tatsächlich immer verfügbar, wäre das eine Konkurrenz für unsere Infrastruktur.» Wichtige Aspekte seien aber die Komplexität und die Cybersicherheit. Die Telekominfrastruktur sei heute sehr stark vernetzt. «Es laufen zahlreiche verschiedene Dienste darauf», sagt Suter. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Störungen. Die autarken Sender von Swissphone seien zudem bewusst nicht ans Internet angeschlossen. «Selbst wenn wir eine Sicherheitslücke im Design hätten – ein Hacker könnte diese gar nicht ausnützen, weil er keinen Zugriff hat.»
Den Vergleich der Swissphone-Lösung mit der alten SOS-Säule versteht Suter denn auch nicht als Kritik: «Ja, das ist wie ‹back to the roots›: einfach, aber genau deswegen auch sehr robust.»
Swissphone hoffe, dass der Bund und die Kantone das Potenzial der bereits vorhandenen Infrastrukturen besser anerkannten, sagt Suter. Mit anderen Worten: Das Unternehmen erhofft sich Aufträge. Um eine schweizweite Abdeckung zu erreichen, müssten laut Swissphone etwa 2500Standorte mit der autarken Notfall-Alarmierung ausgerüstet werden.
Gemäss einer Milchbüchleinrechnung der Firma würde dies rund 25 Mio. Fr. kosten. Mag sein, dass Swissphone bei den Kosten eher tief stapelt. Doch verglichen mit der Härtung des Mobilfunknetzes fielen die Kosten kaum ins Gewicht: Diese würde laut Berechnungen des Bundes etwa 40 Mio. Fr. pro Jahr kosten.